Ob Greta Thunberg wohl Enter Shikari hört? Die Band setzt sich mit ihren gesellschaftskritischen Texten seit über 10 Jahren für den Klimaschutz und eine bessere Welt ein. Bereits 2008 warnten die Briten im Song „Juggernauts“ vor dem Klimawandel und der Ignoranz der Politik: „We’ll do what we’ve always done, shut our eyes and hope for the best.” Eben diese Botschaft gab die schwedische Klimaschutzaktivistin vor kurzem in einem ihrer Interviews zum Besten. Mit ihren thematisch breit gestreuten Texten versuchen Enter Shikari an diesem Dienstagabend noch mehr Menschen davon zu überzeugen, wie wichtig politische Mitbestimmung ist.
Doch der Reihe nach. In einem noch kaum gefüllten Backstage starten Flash Forward als erste Vorband in den Abend. Die aus Wesel stammende Band dürfte mit ihrer energiegeladenen Performance ihren Bekanntheitsgrad weiter nach oben geschraubt haben. Besonders eindrücklich: Sänger Stefan Weigel überzeugte als Vortänzer und Sänger mitten im Publikum.
Im Anschluss betreten As It Is aus Brighton die Bühne. Im Vergleich zu früheren Auftritten hat sich der Stil der Band radikal verändert, was sich vor allem an Sänger Patty Walters festmachen lässt: War der Youtuber und Sonnyboy früher als blonder Pop-Punker bekannt, so sieht er nun aus, als käme er direkt aus dem Jahr 2006. Mit schwarzem Kayal, schwarzem Lippenstift, langen schwarzen Haaren und weißem Makeup wirkt er wie eine jüngere Kopie des damaligen Stils von Gerard Way, Ex-Leadsänger von My Chemical Romance. Das Problem: Die soften Pop-Rocknummern passen einfach nicht zu diesem Stil. Selbst wenn an einigen Stellen ein paar Shouts eingestreut werden, wirkt das ganze ziemlich aufgesetzt. Zwar bemühen sich die Songs des neuen Albums „The Great Depression“ an das epische „The Black Parade“-Album von My Chemical Romance anzuknüpfen, scheitern dabei jedoch grandios. Auch in München wird dies deutlich, denn die von Patty geforderten Circle Pits ebben nach wenigen Umdrehungen ab. Die meist weiblichen As It Is-Fans jüngeren Alters lassen sich ihre Freude am Auftritt jedoch nicht verderben und verabschieden die Band mit lautem Kreischen.
Nun ist die Zeit reif für Enter Shikari. Mit dem aktuellen Album „The Spark“ vollzogen die Briten einen Stilwechsel, der sich auch bei diesem Konzert bemerkbar macht. „The Sights“ läutet den Start in eine ungewöhnliche Setlist ein. Enter Shikari waren bereits 2017 in München mit einer Tour zu „The Spark“ zu Gast, weshalb zwar erneut die Songs des Albums dominieren, aber gleichzeitig ein Jubiläum gefeiert wird. Das Album „Common Dreads“ wird im Sommer 10 Jahre alt, weshalb Enter Shikari den Fokus auf ihr Zweitwerk verlagern und insgesamt sechs Songs daraus spielen. Darunter sind auch live selten gehörte Nummern wie „Havoc“ oder „Gap in the Fence“. Aufgrund der engen Raumverhältnisse im Backstage fällt im Vergleich zur letzten Tour leider einiges an Interaktion mit dem Publikum weg. So gibt es diesmal kein Pianosolo von Rou Reynolds inmitten der Fans und auch keine Ausflüge seiner Bandkollegen zum Stagediven.
Enter Shikari haben inzwischen auch schon über 16 Jahre als Band auf dem Buckel und machen mit dieser „Zwischentour“ vor dem neuen Release vor allem den Die Hard-Fans ein Geschenk. Zahlreiche seltene Songperlen werden gespielt. Dafür fehlen allerdings Klassiker wie „Destabilise“, „Anything Can Happen In The Next Half Hour…“ oder „Sssnakepit“. Im Rahmen der brachialen Quickfire-Round bekommt die Band zum Ende des Konzerts hin gerade noch die Kurve, um einige der etwas missmutig dreinschauenden Fans versöhnlich zu stimmen. „Sorry you’re not a winner“, das von den Schrecken des ersten Weltkriegs inspirierte „The last Garrison“, „…Meltdown“ und der Anti-Brexit-Song „Anaesthetist” sorgen für einen achtminütigen Moshpit, der die Temperatur im Backstage dem Siedepunkt entgegen treibt. So bleibt garantiert kein T-Shirt trocken und als Enter Shikari zur letzten Zugabe bitten, perlt bereits der Schweiß von der Decke.
Doch warum heißt die Tour „Stop the Clocks“? Ganz versteckt streuen Enter Shikari den neuen gleichnamigen Song in die Setlist ein, der bislang nur live zu hören war. Der eingängige Song mit Anleihen bei Queen und Freddy Mercury lässt auf ein starkes neues Album hoffen. Gleichzeitig ist er ein Vorzeichen darauf, das Enter Shikari den musikalischen Horizont ihres Trancecore weiter ausdehnen wollen.
Als Zugaben vollenden „Live Outside“ und „Juggernauts“ eine trotz der gewagten Setlist grandiose Performance. Enter Shikari unterstreichen einmal mehr, dass sie immer noch zu den besten Livebands der aktuellen Rockszene gehören. Bleibt nur zu hoffen, dass sich mehr Menschen die Texte der Band zu Herzen nehmen und die letzten Zeilen von Juggernauts eine Horrorvorstellung bleiben: „And I hope that we’ve still got time, ‚cos I do not think we’re invincible, the idea of community, will be something displayed at a museum.”