Im Interview mit Rou Reynolds von Enter Shikari

Rou Reynolds (Enter Shikari)
Fotocredit:
Freddy Hellbernd

Am 21. April erscheint das neue Studio-Album „A Kiss For The Whole World“ von Enter Shikari. Anlässlich dessen sind die vier Engländer gerade auf Promo-Tour und wir hatten die Gelegenheit vor dem Konzert in Hamburg mit dem Sänger Rou Reynolds zu schnacken. 

Festivalstalker: Ihr seid eine Band, die sehr die Nähe zu den Fans sucht. Wie war das für Euch, während der Pandemie? Wie sehr habt ihr den Kontakt zum Publikum vermisst?

Rou: Ich habe es sehr vermisst. Ich habe im Grunde genommen während der Pandemie für eineinhalb Jahre keine Musik geschrieben. Einer der Gründe dafür war, dass ich nicht die Energie der Menge spüren konnte um mich mit den Menschen verbunden zu fühlen. Ohne diesen Antrieb wusste ich nicht was der Grund sein sollte, um weiter Musik zu schreiben… ohne die Musik mit den Leuten auf Konzerten zu teilen, ohne physisch von ihnen umgeben zu sein… ja, das war hart.

Festivalstalker: Ja, das glaube ich Dir. Wie schwer war es diese Blockade zu überwinden und wie hast du es letztendlich geschafft?

Rou: Eigentlich funktionierte es erst wieder, als wir wieder anfingen Shows zu spielen. Wir haben bei einem Testfestival in UK gespielt – das Download Pilot Festival.

Festivalstalker: War das ein Festival mit Publikum oder war es noch via Livestream?

Rou: Es war das erste Live-Festival seit dem Ausbruch von Corona. Es war unsere erste Show seit eineinhalb Jahren. Das war wirklich ein euphorischer Tag für uns! Das erste Mal, dass wir wieder gemeinsam auf einem matschigen Feld standen. Es war wundervoll!
Aber im Anschluss war es nicht so, dass ich sofort wieder schreiben konnte. Das war ein sehr langsamer Prozess.
Ich hatte das Vertrauen in mich, als kreative Person, verloren. Ich dachte nicht, dass es an den letzten Monaten liegt. Ich dachte eher, ich bin jetzt Mitte dreißig, meine kreativen Jahre sind wohl vorbei. Rückwirkend betrachtet, ist das natürlich dämlich, aber du bist in dem Moment so desorientiert und denkst, du wirst nie wieder schreiben können.
Wie gesagt, es war ein langsamer Prozess…
Wir haben darauf einige kleinere Shows gespielt. Es kamen langsam kleine Ideen und ich dachte: OK, einige dieser Ideen sind gut. Das ging so Stück für Stück, bis ich den ersten Song fertig hatte: „(pls) set me on fire“ Und ich dachte nur: OK, das ist ein Banger!!!

Festivalstalker: Ah ok, den Song habt ihr ja im Februar als Single raus gebracht. Der bleibt wirklich im Ohr.

Festivalstalker: Aber kommen wir noch mal zurück zu eurem letzten Album „Nothing Is True – Everything Is Possible“. Dies kam Anfang 2020, gleichzeitig mit dem Lockdown, heraus. War es schwer die Songs nicht live spielen zu können?

Rou: Ja, das war schrecklich! Download Pilot war dann der erste Auftritt und mit dem Album mussten wir eineinhalb Jahre warten, bis wir es spielen konnten. Ich will eigentlich einen Song, den ich geschrieben habe, sofort live spielen.

Festivalstalker: Im letzten Jahr habt Ihr Features mit Wargasm und Cody Frost heraus gebracht. Wie kam es dazu? Speziell bei Wargasm interessiert mich das, da ich die ebenfalls sehr gerne höre.

Rou: Ich traf Milkie [Sängerin bei Wargasm] bei einigen Shows in London in den letzten Jahren und ich habe sie mir beim Download Pilot angesehen. Ein paar Monate später schieb ich „The Void Stares Back“ und Wargasm hatte ich immer noch im Hinterkopf. Plötzlich dachte ich, hier würde es vielleicht gut zusammenpassen. Deswegen schickte ich ihnen den Track und sie waren beide sehr begeistert. Wir tauschten ein paar Ideen und Vocals aus und hatten dabei eine Menge Spaß. Das selbe bei Cody… Wir kennen Cody nun seit etwa 10 Jahren. Sie war eine lange Zeit Support für unsere Band. Sie fing damals an, mit einem Freund von uns, Dan Weller, der einige unserer vorherigen Alben produziert hat, Musik zu schreiben und als ich „Bull“ schrieb und bei der Melodie dachte ich mir: „Oh das ist eine Cody Frost Line, die ich da gerade geschrieben habe…“ …und Ja, sie war ideal für Cody.

Festivalstalker: Cool! Kommen wir aber nun zu dem eigentlichen Grund für unser Interview. Am 21. April kommt Euer siebtes Studioalbum „A Kiss For The Whole World“ heraus. Kannst Du uns ein wenig mehr zu dem Album erzählen?

Rou: Es ist es märchenhaftes Album mit viel positiver Energie. Die Musik drückt einfach meine Emotionen und meine Gefühle aus, als ich endlich wieder Musik schreiben konnte. Ich war so aufgeregt… Jaaa, ich kann endlich wieder Musik schreiben. Alles kam raus, sehr viel Positives, viel Optimistisches.

Festivalstalker: Das kann ich mir vorstellen und es war bestimmt ein überwältigendes Gefühl. Wo habt Ihr das Album dann aufgenommen?

Rou: Das war in einem kleinen Bauernhaus an der Südküste Englands – ein Airbnb. Wir fanden dieses Haus und dachten nur, das ist perfekt! Es ist mitten im nirgendwo, keine Häuser rundherum.

[Tourmanager Keith unterbricht uns]

Keith (Tourmanager) lacht: Darf ich kurz stören? Es war nicht perfekt!!! Es gab keinen Strom und die Anreise war eine Katastrophe. Wir mussten mit dem Van über Feldwege fahren, die für Traktoren ausgelegt waren.

Rou lacht: Das wollten wir ja, irgendwo außerhalb von allem. Mitten in der Natur. Wir riefen dann also den Besitzer des Airbnb an und er wusste gar nicht, dass das Haus noch verfügbar war. Er dachte, er hätte es bereits runter genommen. Also sagte er: „Nein! Das wollt Ihr nich! Es ist sehr alt, es gibt nur Solarstrom und keine Zentralheizung. Ihr müsst einen Feldweg nehmen, um da überhaupt hinzukommen…“. Er hatte wohl einige Gäste da, die schlechte Bewertungen hinterlassen haben. Sie dachten, es wäre ein schönes kleines Landhotel. Also mussten wir ihn überzeugen und sagten, dass das genau das ist, was wir wollen. Wir wollen eine reine, unverfälschte Lebensweise. Wir wollen keine Luxusunterkunft.

Festivalstalker: Ihr musstet also Euer komplettes Equipment und die gesamte Technik dorthin schleppen?

Rou: Ja, wir mussten alles mitbringen. Aber das war ja unser Plan. Wir wollten es nicht in einem Studio aufnehmen. Wenn du in ein Studio kommst, machst du es wie alle dort… Hier kommen die Drums hin, du benutzt diese Mikrofone an den Drums und dann bekommst du diesen Sound… Das wollten wir nicht. Wenn du in ein Haus mitten im Nichts gehst und deine eigene Ausrüstung mitbringst, macht es viel mehr Spaß. Außerdem wollten wir uns als Band wiederfinden, da wir fast zwei Jahre lang keine Band waren. Wir wollten die Zeit nutzen um Spaß zu haben, zu experimentieren und uns gegenseitig wieder kennenzulernen. Es fühlte sich perfekt an.

[Keith kommt erneut hinzu und zeigt uns auf seinem Handy Fotos von dem Haus und der Gegend]

Festivalstalker: Wusste der Besitzer des Hauses, dass Ihr eine Band seid und dort ein Album aufnehmen wollt?

Rou: Ja, wir waren ehrlich. Wir haben uns Sorgen gemacht, ob die Solarpaneele genug Strom liefern…aber wir wollten das Album komplett mit erneuerbarer Energie aufnehmen. Also mussten wir das klären. Am Ende hat alles gepasst. Wir konnten Musik aufnehmen, aber nicht gleichzeitig Wasser kochen. Wenn wir den Wasserkocher oder den Toaster benutzen wollten, mussten wir die Aufnahmen unterbrechen.

Festivalstalker: Wie lange wart ihr in diesem Airbnb?

Rou: Fünf extrem lustige Wochen. Wir mussten Holz hacken, um den Ofen zu heizen. Wir haben uns gegenseitig bekocht, sind zusammen Laufen und Wandern gegangen,…

Festivalstalker: Meinst Du, man kann diese Stimmung auf dem Album hören?

Rou: Da sind so viele Details in unserer Musik und du musst sehr fokussiert sein, wenn du aufnimmst. Besonders ich als Produzent… und in London klappt das nicht. Da ist ständig so viel los. Da ist Lärm und so viel Ablenkung – aber hier, im Nirgendwo, war nichts von alldem. Die einzige Ablenkung waren ab und zu ein paar Rehe, die aus dem Wald kamen. Dadurch konnten wir ein gutes Level an Details in der Musik aufnehmen.

Festivalstalker: Rou, vielen Dank für das Interview. Wir sehen uns nachher beim Konzert.

Rou: Danke, dass Du da warst. Genieße die Show!

 

Fotos: Enter Shikari Clubshow im hamburger Knust