Selten habe ich so einen großen Schwarm Hummeln im Allerwertesten wie vor diesem Gig im Bastard Club in Osnabrück am 16.07. Kurz vor knapp kommt am Montag die Interviewzusage für alle drei Bands von Tourmanager Rafael, die mich gefühlt in ein Alter von 15 zurückbombt, werde ich doch im Bastard Club meine Helden aus der Mitte der Neunziger treffen, deren Sounds meinen Musikgeschmack entscheidend geprägt haben. Entsprechend aufgeregt schlagen Kollege Stein und ich daher um 17 Uhr in Osnabrück auf und kontaktieren Rafael. Er befindet sich gerade mit Toby von H2O zum Laundry Day im Waschsalon und sagt uns, wir sollen im Club einfach nach Jungs von den drei Bands Ausschau halten, um sie vor das Mikro zu bekommen. Dies gestaltet sich eher schwierig, daher sind wir froh, dass der Tourmanager mit Toby im Schlepptau relativ zeitnah wieder auf dem Parkplatz des Bastards aufkreuzt. Entschädigt werden wir für die kurze Wartezeit jedoch allemal, als Rafael uns zum H2o-Interview völlig entspannt mitteilt: „You can have the whole band!“ Das habe ich vorher nicht mal zu hoffen gewagt und mir geht für einen kurzen Moment doch der Stift ob dieses Glücks. Nachdem Toby seine Wäsche verstaut hat, treffen wir uns mit der Band im Barraum und quatschen fast 40 Minuten über verschiedene Themen und aus dem eigentlichen Interview entwickelt sich schnell ein sehr interessantes und angeregtes Gespräch, bei dem ich meine Vorlage so gut wie kaum noch nutze. Nach abschließendem Gruppenfoto und herzlichen gegenseitigen Dankesbekundungen schauen Herr Stein und ich uns im Raum um und entdecken Battery-Shouter Brian McTernan, der wie auf Wolke Sieben durch den Raum flaniert. Unsere Interviewanfrage lehnt er mit Verweis auf seine etwas lädierte Stimme zwar ab, schwirrt aber sofort los, um Ken Olden, ebenfalls Gründungsmitglied und der Chef an der Axt, vor unser Mikro zu holen. Ken ist ein Glücksfall für jeden Interviewpartner, muss ich doch kaum Fragen stellen, denn er ist gesprächig wie eine ganze Pressekonferenz. Dem Stein und mir bleibt nichts weiter, als ihm andächtig dabei zu lauschen, wie er über die Anfänge der Band in den frühen Neunzigern, den ersten Gig im Bastard („I’ve found the poster right there in the corner!“), die zwischenzeitlichen Bandprobleme mit langer Pause und die Reunion 2017 schwadroniert. Ein sehr angenehmer Gesprächspartner, der nach ca. 35 Minuten von Alex vom Bastard höflich aber bestimmt darauf hingewiesen werden muss, dass es Zeit für den Soundcheck sei.
Da die Jungs von Sharp Shock nicht zu sehen sind, beschließen wir, zunächst beim nahegelegenen Geldautomaten unsere Barvorräte für den verführerischen Merchstand aufzustocken. Wir haben den Parkplatz jedoch noch nicht verlassen, als Toby Morse mit Davey (g/v) und Dan (b/v) von Sharp Shock herantrabt und uns deutlich zu verstehen gibt, dass auch mit den Jungs noch ein Interview stattfinden müsse. Da bis zum Gig der Kalifornier nur noch eine halbe Stunde Zeit ist, wird das Gespräch kurzerhand am Kofferraum von Herrn Steins Hardcoremobil durchgeführt. Auch die beiden Saitenmeister erweisen sich als sehr angenehme Gesprächspartner, bei zumindest Davey Warsop habe ich stets das Gefühl, ihm werde der Humor gleich aus den Ohren spritzen. [Alle Interviews wird es in den nächsten Tagen auch hier in Textform geben, da wir am Ende jedoch anderthalb Stunden Material habeen, dauert das Transkribieren leider ein wenig länger – Anm. d. Autors.]
Nun geht es jedoch schnell zum Wesentlichen: der Musik. Nachdem Toby uns noch einmal darauf hingewiesen hat, dass wir unbedingt Sharp Shock sehen müssten, führen wir uns die Kalifornier mit britischen Wurzeln zu Gemüte – und sollen es nicht bereuen. Feinster Punk’n’Roll mit sowohl britischen als auch amerikanischen Einflüssen, sehr sympathisch rübergebracht, dabei voll tanzbar – die Jungs werde ich definitiv genauer im Auge behalten und die Scheiben ‚Unlearn Everything‘ (2016) und ‚Youth Club‘ (2018) sollte man sich in die Vitrine stellen, wenn man auf melodischen Punk mit einer gehörigen Portion Großbritannien, augenzwinkerndem Humor und modernem Soundgewand steht.
Viel Zeit zum Verschnaufen gibt es nach Sharp Shock nicht, mit Battery steht der erste Headliner des Abends in den Startlöchern. Ich bin nicht so ganz sicher was ich erwarten soll, hat man besonders Brian McTernan die fast zwanzigjährige Bühnenabstinenz während der Reunion-Gigs 2017 doch deutlich angemerkt. Die Sorge erweist sich allerdings als völlig unberechtigt, legen Battery doch los, wie es ihr Bandname erwarten lässt – nomen est hier omen. Das fünfundzwanzigjährige Jubiläum ihres Debütalbums ‚Only The Diehard Remain‘ im Rücken, feuern sie ab, als gäbe es kein Morgen. Der Keller nimmt den Ball dankbar auf und setzt quasi umgehend zum kollektiven Ausrasten an – hier wird klar, aufgrund welcher Band viele Leute anwesend sind. Die Jungs um Ken Olden und Mike Schleibaum geben allerdings auch wirklich alles und zelebrieren auf der Bühne ein wahres Feuerwerk an Klassikern quer durch ihre Diskografie. Der Titeltrack des Jubiläumsalbums, ‚Whatever It Takes‘, ‚Until The End‘, ‚In Our Hands’ oder ‚That’ll Never Be Me‘, um nur einige zu nennen, laufen wie geschnitten Brot. Die Seele geht mir als langjährigem Liebhaber der Band jedoch immer dann auf, wenn Brian McTernan zwischen den Songs in die Knie geht und sein Herz auf die Bretter legt. Mit absoluter Integrität legt er dar, was Hardcore und die Family ihm bedeuten, dass die Toleranz und der Zusammenhalt in der Szene wegweisend an bestimmten Stellen in seinem Leben waren. Kann ich völlig unterschreiben, hochgradig sympathisch und familiär. Als Battery ein bereits enorm verschwitztes, aber noch nicht vollends ausgepowertes Publikum mit dem 7 Seconds-Klassiker ‚Young Til I Die‘ inkl. dreiminütigem Singalong der Titelzeile an H2O übergeben, ist der Keller bereits restlos zufrieden und nur die Ohren einiger Leute verhindern, dass sie im Kreis grinsen. O-Ton eines Zuschauers: „H2O finde ich auch megageil, aber eigentlich kann ich nach dem Kracher jetzt schon nach Hause gehen!“ Kann ich ebenfalls fast gänzlich unterschreiben und – ich nehme vorweg – Kollege Stein ist am Ende des Abends sogar der Meinung, dass Battery heftiger abgeliefert haben als H2O.
Aber der Reihe nach: ‚Familiär‘ ist auch das Stichwort für eins der Urgesteine der NYHC-Szene. Sänger Toby ist mit seiner Familie in Form von Ehefrau Moon und Sohnemann Max über den Teich geschippert, die das Spektakel (zunächst) vom Bühnenrand verfolgen. Bereits vor dem Gig hat sich angedeutet, dass H2O und insbesondere Toby und Rusty Pistachio richtig Bock haben, mischen sie sich doch permanent unter die Meute im und vorm Bastard und quatschen und lassen Selfies machen. Auf der Bühne zeigt sich die gute Laune dann deutlich. Mit ‚5 Year Plan‘ geht es amtlich los und es kommen keine Zweifel auf, dass heute wenig Restflüssigkeit in den Körpern der moshenden Meute bleiben wird. Musikalisch wird die gesamte Hit-Palette präsentiert, über ‚Family Tree‘, ,Guilty By Association‘, ‚Everready‘, ‚Sunday‘ oder ‚Fairweather Friends‘ wird alles geboten, was das Herz begehrt. Auf der Bühne herrscht ständig Platzmangel, was sicherlich auch an deren geringer Höhe liegt, da sich ständig irgendjemand aus dem Publikum zwischen der Band tummelt oder Vocal-Beiträge liefert. Ein wenig lässt die Szenerie an geile HC-Shows der 90er in irgendwelchen klitzekleinen US-Schuppen erinnern, ein Schelm, wer dabei an den Bastard Club denkt. Zwischendurch darf auch mal der Nachwuchs ran, so bedient Max Morse nicht nur die Drums, sondern macht auch am Mikro kurz eine gute Figur – ganz der Papa. Dieser ist wie eh und je ein Aktivposten, hat sichtlich Spaß inne Backen und fordert vom Sohnemann irgendwann einen Musikwunsch, der in ‚I See It In Us‘ resultiert. Auch Mike Schleibaum gibt sich die Ehre und nimmt Rusty die Gitarre ab, damit dieser einen Song trällern kann. Als die Menge schon auf dem letzten Loch pfeift, da scheinbar fast sämtlicher Sauerstoff schon weggeschnuppert ist und das Wasser regengleich von der Decke tropft, setzen H2O zum finalen Schlag an und ballern die Bandhymne ‚What Happened‘ raus, dass es nur so spritzt. Neben Dan Smith von Sharp Shock gibt auch der Autor dieser Zeilen noch einmal kurz ein wenig Sangeskunst auf der Bühne zu Protokoll und die Damen und Herren im Pit gehen noch einmal völlig steil. Von den klimatischen Bedingungen im Bastard auch langsam gezeichnet, verzichten H2O auf eine Zugabe, verteilen dafür aber noch reichlich Gimmicks an die Anwesenden und geben umfassend Gelegenheit zum gemütlichen Plausch.
Fazit: Eins der besten Konzerte, auf dem ich in 25 Jahren je gewesen bin. Hier wehte richtig Hardcore-Spirit durch den Keller. Ein amtlicher Pit inklusive offener Bühne, die von der Meute redlich genutzt wurde. Drei Bands, die vor Spielfreude kaum zu bändigen sind. Ein fettes Dankeschön an die Crew vom Bastard Club, an Tourmanager Rafael, an Sonic von MAD Tourbooking und natürlich an alle drei Combos. Davon werde ich meinen Enkeln noch erzählen.
Leider konnte ich nur bei Sharp Shock Fotos mit der vernünftigen Kamera machen, da mich bei Battery und H2O Verpflichtungen im Moshpit daran hinderten. Daher handelt es sich bei den Fotos dieser Bands um Handy-Pictures, die ich aber bewusst eingestellt habe, da sie die Atmosphäre im Bastard Club meiner Meinung nach sehr gut wiedergeben.