Und plötzlich wirkt alles farblos. Unglücklich versunken im Bett. Dabei ist doch alles gut, oder? Nina Chuba erinnert sich genau, als sie wunschlos glücklich sein könnte, aber in ihr trotzdem alles dunkel ist, und als genau da, so mittendrin Neues entsteht. „Farbenblind“ wird zum Song und zur Anerkennung eines inneren Nullpunkts. Transparent, tieftraurig, farbenblind: „Zum Meer ist nicht mal weit, aber ich bade in Schwermut, du verfolgst mich, ganz egal wohin“.
Ihre gleichnamige EP, die nun bei Jive Germany erscheint, geht tief und schneidet in warmes Fleisch. Die Musikerin, ein kleiner Schwamm, eine aufmerksame Geschichtenerzählerin, textet in sieben Songs über sich selbst und andere, legt in jedes ihrer Worte ganz echtes Gefühl. Es geht um Vergänglichkeit und tiefe Löcher, Brüche, Enden und Begegnungen, die einen für immer warmhalten. Es ist ihr Flow, den man kennt, gleich wiedererkennt, den Rhythmus, sein Wechsel, ihre Fülle an Worten, ohne Aussagen unnötig oder pathetisch zu verschleiern.
Neu ist der Fokus: „Farbenblind“ vereint Tracks, die allesamt melancholisch und nachdenklich sind. Nina Chuba gibt hier Tiefgang und Weichheit Raum, Verlust und Verlass. Wer die Musikerin in den vergangenen Jahren verfolgt hat, ihren Aufstieg zu einer einflussreichen Künstlerin, die eine ganze Generation nährt mit ihren feinsinnigen wie leichtfüßigen Texten und meist tanzbaren Beats, ihren Hits, wird nicht übersehen haben, dass sie keine Maschine ist und die Themen, die sie in ihren Songs und auf Social Media aufmacht, sie wirklich beschäftigen, sie berühren.
Dass sie auf „Farbenblind“ nun ausschließlich den weichen, aber eigentlich ja so harten Themen begegnet, zeigt einmal mehr, was Musik ihr bedeutet: ein Sortieren, ein Benennen, ein Versprachlichen von Erlebtem und seinen Gefühlslagen. So rennt Nina Chuba, empfindsam und zart, mit einem Bild, das sie in sich trägt, los, und knüpft ihre Texte mit ihm, die ganze Geschichten auffächern, macht Zustände errebbar, die in nur wenigen Minuten Stück Musik bewegen.
„Farbenblind“ ist eine Widmung an jede zwischenmenschliche Beziehung, die einem Halt gibt und manchmal auch Angst machen kann. Das darf das Ende einer Liebe sein, ein Betrug. „Fata Morgana“ erzählt kraftvoll vom Riss von Welt und Seele, wenn alles kippt, weil die Enttäuschung über die eigene Blindheit einen frisst. Aber es darf auch eine Freundschaft sein, die in Flammen aufgeht: ein Auseinanderleben, ein Umzug, Erwachsenwerden, dabei hatte man noch so viel zusammen vor. „Waldbrand“ erzählt von einer festen Umarmung bei einem Abschied für immer: „Tränenmeer im Morgenrot / Letzte Stunde aufgebraucht / Wege trennen ist besser so“.
In ihren Songs changiert Nina Chuba zwischen absoluter Traurigkeit und Wut, gleitet durch sie hindurch, und besingt auch die Lust auf Brüche, die neben der Angst vor ihnen genauso dastehen darf. „Farbenblind“ ist auch die Gleichzeitigkeit von Gefühlen, sie auszuhalten. Und ein Aufruf, sie wahrzunehmen, zuzulassen, sie wieder gehenzulassen, an und mit ihnen zu wachsen. Aber immer auch Grenzen zu setzen und zu erkennen, dass man manchmal Hilfe braucht. So wie die Musikerin, als sie erschöpft, leer, aber auch so voll ist, weil so viel passiert, aber nie Zeit bleibt, um irgendwas zu verarbeiten. Keinen der Erfolge, keine Emotion, Beziehungen nicht, ihre Enden. Sie erkennt: Therapie kann helfen, Ruhe, Raum, 26 Jahre Prägung verstehen lernen, Verluste, Verausgabung. Und Zeit, die hilft auch… Der gleichnamige Song zeigt, dass sie sogar heilen kann. „ (Zeit) Bin ihr für immer dankbar / Auch wenn sie mir so Angst macht“.
Nina Chubas Stimme ist laut und leise, moderat schreit sie, hetzt manchmal, sie flackert und beruhigt. Da sind Oktavensprünge, klarer Gesang und blitzschnelle Rap-Parts. Pulsierende Kick, wabernde Synthis, Piano – alles mischt sich organisch ineinander, zeichnet den Nina-Chuba-Sound. Dancehall rhythms, die sich in der Hook öffnen, Electronic und auch Grunge schleicht sich diesmal ein. Die Musikerin zeigt auf „Farbenblind“ ihre Vielfalt, auch weil sie sich geschworen hat, für immer genrefrei zu bleiben, das zu tun, worauf sie wirklich Lust hat. Musik als Summe eigener Inspirationen und dem Kern seiner selbst. Ihr Selbst erzählt in „Fliegen“ vom Gefühl geliebt zu werden. Eine Liebeserklärung, aus der noch immer eine Ungläubigkeit spricht, weil es vielleicht das Schönste ist: sich bedingungslos fallenlassen können. „Ich muss gerade nicht stark sein / Ich zeig’ dir meine Tränen / Dass du mich überhaupt so lieben kannst / Das sind Dinge, die sonst niemand kann“. Geliebt zu werden, aber auch das Memo daran, das eigene Herz zu öffnen und Platz zu machen für einen Menschen und ihn für immer dort einzufassen, no matter what.
„Farbenblind“ ist rauschhaft, man bewegt sich mit Nina Chubas Worten in Zeitlupe und doch im Schnelldurchlauf. Kräfte messen sich aneinander: Emotionen stehen sich gegenüber, und wirken doch alle zusammen. Da ist Schwere, die nach der Leichtigkeit kommt, andersrum und gleichzeitig. Die Musikerin vereint auf ihrer EP eine große Range an Gefühlen und zeigt, wie anstrengend es sein kann, überhaupt zu fühlen, aber eben auch wie unfassbar schön und kostbar es ist.