Was weißt du eigentlich über kanadischen Metal? Falls du nicht aus Kanada kommst: wahrscheinlich nur ein wenig mehr als das bisschen, was du über die kanadische Geschichte weißt, da beide Themen im globalen Maßstab heute akut unterrepräsentiert sind. Das Quintett OSYRON aus Alberta, Kanada, tritt an, um dies mit seiner dritten Veröffentlichung “Foundations” (Release: 10. Juli) geradezurücken.
Osyrons Musik, die in der Vergangenheit im US-Speed-Metal verwurzelt war und stark von europäischem Symphonic Power Metal beeinflusst wurde, gipfelte in einem der facettenreichsten Alben 2017, “Kingsbane”. Bis zum neuen “Foundations” haben die Kanadier sich nochmals stark verbessert – es bringt all die Markenzeichen zurück, für die diese Gang aus außergewöhnlichen Musikern, Komponisten und Soundtechnikern seit ihrem ersten Album “Harbinger” geliebt und gelobt wurde: massive, vielschichtige Sektionen, knackige Hooklines und Material, das geeignet ist, sich auf dem Griffbrett die Finger zu brechen. Der große Unterschied liegt im geschärften Fokus. Alles an den neuen Kompositionen ist dafür gemacht, sich in den Kopf des Hörers hineinzubohren, ohne Intention, diesen je wieder zu verlassen.
Fünf eindringliche, epische Songs, die eine enorme Menge an musikalischem Erbe stemmen, kommen direkt zum Punkt und sorgen so für eine spannende kanadische Geschichtsstunde, völlig frei von Lückenfüllern. Mit dem Musikerego entspannt auf dem Rücksitz und der Gabe des Komponisten am Zug, buhlen Osyron gar nicht mehr um die Aufmerksamkeit des Hörers. Denn sobald ihre antreibenden und mächtigen Rifflandschaften am Horizont erscheinen, wird man ohnehin hineingezogen, bis die Musik endet.
Da sie alles schon einmal gemacht hat, kann die Band sich jetzt darauf fokussieren, eine elegante Brücke von der Oldschool-Extravaganz zum zeitgemäßen Heavy Prog Metal zu schlagen, der als Marschmusik für Thrasher, Epic Metal Fans und Progger einfach funktioniert. Die fesselnden, teils arabisch klingenden Melodiebögen tragen und verstärken einen satten erzählerischen Kern und kreieren einen sensationellen Kontrast zur immer noch vorhandenen kämpferischen Thrashiness – all das auf der Bühne einer meisterhaften Produktion. Die große Bandbreite eines kraftvollen stimmlichen Ausdrucks wird gewürzt mit perfekt gesetzten Schlachtrufen, um die verzweifelte Wildheit der kanadischen Soldaten im Ersten Weltkrieg zurückzubringen, die vom Geschichtsunterricht in allen Teilen der Welt mit einer Gleichgültigkeit behandelt werden, die ihrem traurigen Schicksal als Kanonenfutter des Britischen Staatenbundes nicht annähernd gerecht wird.
“Die Geschichte derer erzählen, die schon viel zu lange nicht gehört wurden” das ist Osyrons Anliegen mit ihrem 2020er Release “Foundations”, dessen schlüssigem Zusammenspiel von Härte, Gefühl und eindringlicher Atmosphäre die Erkundung der kanadischen Vergangenheit und Identität genauso gelingt, wie es sein soll. “Es reflektiert persönliche und gesellschaftliche Stigmata, Meinungen und Vorurteile über die kanadische Kultur und Geschichte, indem es heikle Themen wie kulturellen Genozid, Rassismus und Diskriminierung erforscht, während es ebenso die eher einenden Grundlagen von Emotionen wie Verlust, Schmerz, Hoffnung und Glaubensperspektiven behandelt. Und nicht zuletzt bringt es auch die ureigensten Fundamente ans Licht, auf denen Kanada als Nation errichtet wurde: das Blutvergießen, den Krieg und die Assimilierung verschiedener ethnischer Gruppierungen (hauptsächlich der First Nations), die zur Entwicklung dessen führten, was wir heute als Kanada kennen.”