Review: Alex Mofa Gang – Euphorie am Abgrund

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9.4
Ohrwurm- Garantie!

Am Freitag, den 11. Oktober 2024, erscheint das neue Alex Mofa Gang Album „Euphorie am Abgrund“, welches von den Jungs aus Berlin komplett selbst produziert ist. Entstanden ist eine Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft im Jetzt und Hier. Die Band hat sich für ihr neues Album in einem Brandenburger Studio eingesperrt und reflektiert. Denn es wäre zu leicht, sich nur auf andere zu konzentrieren. Man beginnt am Besten bei sich selbst. Wie steht man zum Rechtsruck, zur Gleichberechtigung, dem Klimawandel und all den täglichen Debatten in den Nachrichten? Oder einfach: zur Liebe? Doch es reicht der Alex Mofa Gang auch nicht nur darüber nachzudenken. Sie wollen auch wirklich ihren Idealen entsprechen und nicht womoglich bei einer lockeren Runde unter Freunden doch den Stammtisch-Parolen verfallen. „Euphorie am Abgrund“ legt den Finger in die Wunde und stellt keine leichten Fragen. Allen voran: Wie bleibt man optimistisch in schwierigen Zeiten? Wie behält man die Leichtigkeit und Hoffnung?

Doch diese Review soll ja auch nicht nur an der Oberfläche kratzen, also gehen wir ins Detail! Das Album startet mit „Treppenhaus“, nein eigentlich beginnt so sogar mit zwei sehr sympathischen Worten noch vor Beginn des Songs. Denn da sagt Sascha erstmal „Moin, Moin“ – furchtbar sympathisch! Der erste Gedanke der mir bei diesem Song kam war die Frage, muss man jeden Trend mitmachen? Denn es wiederholt sich hier oft die Zeile „Ich hab den Trend verpennt“. Wenn man dann etwas genauer auf den gesamten Text achtet, stellt sich heraus, dass der Song über eine Beziehung handelt, in der eine Person Erwartungen an die andere Person stellt, wie zum Beispiel erwachsen werden, Geld von der Tante aus dem Westen zu erben, etwas bieten und dies als Trend mit bezeichnet wird. Doch für die andere Person sind diese Erwartungen einfach nicht wichtig und daher wird in der letzten Songzeile des Refrains auch „ein schönes Leben“ gewünscht, was dann wohl für die Trennung steht. Für mich persönlich ist dieser erste Song schon ein absoluter Ohrwurm gewesen, vielleicht auch weil der Text einfach zu genial ist.

„Und im Treppenhaus
riecht’s nach kaltem Rauch
und ich weiß hier bist du jetzt zu Haus‘
baust dir was Neues auf.

Und im Treppenhaus
geht das Licht nach 2 Minuten von alleine aus.
Ich wünsch‘ dir noch ein schönes Leben!“

Weiter geht es dann mit „Mann von gestern“, dieser ist melodisch einfach schon so catchy und dann noch der chorale Refrain, welcher einfach zum Mitsingen einlädt. Der Song ist in gewisser Weise eine freundliche Abrechnung mit dem Patriarchat, Chauvinismus und toxischer Männlichkeit, denn es werden hier Männerrollen beschrieben, wie sie heute einfach nicht mehr in die Gesellschaft passen. Doch wird auch hier, zum Ende des Songs hin, einmal in den Spiegel geschaut, ob man nicht selbst manchmal auch ein „Mann von gestern“ ist, selbst wenn man dies gar nicht sein möchte. „Mann von gestern“ wurde auch bereits veröffentlicht mit einem Video, am 26. Juli 2024, welches sehr minimalistisch gehalten wurde, was wiederum die Message des Songs unterstreicht.

Um dann für etwas Auflockerung zwischen all diesen ernsten Themen (die auch noch anstehen) zu sorgen, ist dann „Lass los“ da. Versteckt in einem tanzbaren Gewand geht es hier um Unsicherheiten und dem eigenen Ausprobieren im Leben. „Eiszeit in Berlin“ passt wie die Faust auf’s Auge, wenn man das Release-Datum betrachtet. Denn dieser Song handelt von der Winter-Depression in der Großstadt – man weiß, dass sie wieder vorbei und doch trifft sie einen jedes Jahr wieder richtig hart. Auch dieser Track glänzt durch seine schönen Songzeilen wie zum Beispiel:

„Du weißt es geht vorbei,
nur ’ne kleine Ewigkeit.
Doch der März ist ein Betrüger,
nach der Eiszeit kommt das Fieber!

Wenn die Menschen auf die Dörfer fliehen,
und die Vögel Richtung Süden ziehen,
dann ist Eiszeit in Berlin.

Und im Berghain geh’n die Lichter aus,
du wachst nicht mehr von Sirenen auf,
es ist Eiszeit in Berlin.“

Es folgt nun einer meiner Highlight-Songs von „Euphorie am Abgrund“, welcher den Titel trägt: „Wahrheit oder Pflicht“. Doch es geht nicht um das Teenie-Party-Spiel, wie man leicht vermuten könnte. Nein es geht darum, wie man sich selbst was vor macht. Dies wird in Geschichten verpackt. In der Ersten geht es um ein ach so glückliches Pärchen mit Kinderwunsch, bei dem doch eine Person fremdgeht. In der Zweiten geht es dann um die ko-abhängige Beziehung mit einer Alkoholikerin. Wie schon in der Einleitung angesprochen, stellt die Band sich hier auch selbst vor die unbequemen Fragen – eine Selbstreflexion um herauszufinden, ob man auch in solche Probleme geraten könnte. Diese Frage wird sogar mal beantwortet:

„Doch so lange uns’re Augen, wenn sie sich treffen, noch die gleiche Sprache sprechen, will ich das hier mit dir teilen.“

Bisher waren auf „Euphorie am Abgrund“ vor allem Songs dabei zu denen man richtig abgehen kann. Doch was wäre ein solches Album ohne eine schöne Ballade. Die ist mit „Ich sing nicht mehr“ nun auch vertreten. Eine Piano-getragene Ballade voller Zynismus und doppeltem Boden. Ich persönlich hatte beim ersten Hören direkt einen positiven Schauer über’n Rücken. Außerdem empfand ich sofort gewisse Rio Reiser-Vibes, doch dazu gibt es noch viel mehr später auf dem Album. „Ich sing nicht mehr“ ist kein Lovesong – es ist ein Song voller Kritik am Kapitalismus und der Gesellschaft. Erst zum Ende des Songs hin, geht es ganz kurz auf die Beziehungsebene. Der folgende Song „Mach neu“ knüpft dann auch direkt ans Thema an, jedoch auf sehr rockige und nach vorn treibende Art.

„Mach neu!
Wenn der Reichtum verschenkt ist
brauchen wir keinen Staat.
Lang lebe die Liebe
und Tod dem Patriarchat!

Denn wir sind die Kinder
der Revolution!
Und wir bauen aus den Trümmern
ein Zuhause statt einer Nation.“

Mit „Game Over“ gibts dann auch noch eine Überraschung obendrauf: Sebastian Krumbiegel (die Prinzen) als Feature-Gast auf einer Hymne an das Luft anhalten. Konstant verkopft? Oder ist es okay, vielleicht auch einfach mal feiern zu gehen? „Game Over“ sagt klar: Natürlich! Mich persönlich hat der Song außerdem überrascht du die a-rhythmische Melodielinie des Synthie-Effekts.

Locker flockig starten wir dann in „Hand aufs Herz“ rein. Oberflächlich scheint es einfach nur ein Feelgood-Song zu sein, doch dem Musikkenner fällt bald auf: Dort sind einige versteckte Anspielungen auf eine gewissen Band drin enthalten. Hier schließt sich der Kreis mit „Ich sing nicht mehr“, denn „Hand aufs Herz“ steckt einfach voller Songlyrics von Ton Steine Scherben. Sei es im Refrain ein „Für immer und dich“ oder auch im Vers ein „Halt dich an meiner Liebe fest“. Der Song handelt von eine Liebesbeziehung, welche vielleicht nicht der Norm entspricht, sowie auch einem Lebensprinzip abseits des geraden Weges und dem Hinterfragen, ob man das noch wirklich will und dem Fazit – ein klares Ja – daraus.

So langsam neigt sich „Euphorie am Abgrund“ dann auch dem Ende zu. Mit „Vielleicht“ wird es wieder etwas melancholischer. Es geht um den Verlust des Jobs, der Hoffnung, der Liebe und doch in gewisser Art optimistisch zu bleiben, denn „Vielleicht ist das ein Anfang, denn ein Ende ist es auf jeden Fall“. „Zug um Zug“ scheint erst genauso melancholisch weiter zu gehen, doch wird dann noch zum rockigen Banger voller Emotion und Sehnsucht. Den finalen Abschluss macht dann „Nur ein Wort“. Der Song kommt relativ sphärisch und schwer daher und gibt nochmal einen gewissen Rückblick oder auch Gesamteindruck aufs Album. „Nur ein Wort“ stellt schön dar, dass zwar Worte von bestimmten Personen uns dazu bringen vor die Tür zu gehen, selbst wenn man vielleicht eine Depression hat, doch der letzte Satz bleibt:

„und trotzdem reicht es nicht zum leben.“

„Euphorie am Abgrund“ ist ein wirklich gut gewählter Titel für dieses Werk der Alex Mofa Gang. Es ist eine Reflexion des Jetzt und Hier. Eine Momentaufnahme, welche die Wunden der Gesellschaft und des Individuums aufzeigt. „Euphorie am Abgrund“ ist textlich und inhaltlich anspruchsvoll – nicht leicht – ebenso wie es die aktuelle Zeit ist. Die Alex Mofa Gang hat all diese Sorgen und Ängste, die ein jeder wohl kennt, in emotionale und tanzbare Songs verpackt. Entstanden ist daraus der Soundtrack zum Durchhalten und Weiterkämpfen. Auch regen die Songs einen an, sich selbst mal zu reflektieren und falls man nicht dem entspricht, wie man eigentlich sein möchte, noch an sich zu arbeiten – für ein besseres Ich und eine bessere Welt.

Wenn die Lust auf „Euphorie am Abgrund“ jetzt so richtig geweckt wurde, könnt ihr euch hier das Album bestellen. Außerdem gehen Alex Mofa Gang damit nächstes Jahr natürlich auch noch auf Tour. Ein wirklich besonderes Special ist es, dass man über den bandeigenen Shop das Bundle Hardticket + CD zum gleichen Preis wie ein einfaches Hardticket erstehen kann. (Die Band begründet dies auf Social-Media damit, dass dann jeder vor’m Konzert es hören kann ;))

ALEX MOFA GANG „Euphorie am Abgrund“ Tour:

30.01.2025 – Wiesbaden – Kesselhaus
31.01.2025 – Düsseldorf – Der Hof
01.02.2025 – Kassel – Goldgrube
06.02.2025 – Nürnberg – Club Stereo
07.02.2025 – München – Kranhalle
08.02.2025 – Stuttgart – clubCANN
14.02.2025 – Dresden – Groove Station
15.02.2025 – Berlin – Lido
21.02.2025 – Hamburg – Knust
22.02.2025 – Dortmund – FZW
28.02.2025 – Lingen – Alter Schlachthof
01.03.2025 – Osnabrück – Kleine Freiheit

Unser Fazit


Sound
9
Inhalt
10
Kreativität
10
Artwork
8
Wiederhörwert
10