Stagedivende Rollstuhlfahrer und die Eschweger Partymeile – Der Sonntag beim Open Flair bot beste Festivalstimmung. In der Eschweger Dorfstraße verkaufen umrahmt von schönen Fachwerkhäusern Einwohner des Städtchens Getränke und Snacks zu günstigen Preisen. Die Bierpreise von 1,50 Euro lassen dabei die Gässchen zur Partymeile mutieren. Neben der Garagenshotbar ist das Gedränge auch bei der örtlichen Metzgerei groß, die direkt am Einlass Bratwürste aus der Region verkauft. Der Sonntag begrüßt die Festivalbesucher mit Sonnenschein und schweißtreibenden Temperaturen. Auf der Hauptbühne dürfen The T.C.H.I.K beginnen, hinterlassen aber aufgrund ihrer grotesken Show mit geschmacklosen Kommentaren nur wenig Eindruck. Ganz anders präsentiert sich dagegen James Mackenzie auf der Hofbühne, der mit langsamen Folksongs überzeugen kann. Der Schotte tourt mit Bandmitgliedern aus Franken und bezeichnet seinen Musikstil als „Alternative Folk mit einem Schuss schottischer Klänge“. Das trifft es ziemlich gut und passt perfekt zum gemütlichen Start in den Sonntag. Während das Finale des Open Flair Poetry Slams läuft, tritt parallel der britische Künstler Yungblud auf. Dieser ist hierzulande noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, doch das dürfte sich nach dieser Sommertour ändern. Im kurzen schwarzen Kleid und mit rosa Socken kommt der androgyne junge Brite auf die Bühne. Seine Rap-Show mit Pop-Einflüssen ist eine einzigartige Energieperformance: Wie ein Derwisch fegt er unaufhörlich von der linken Seite der Bühne zur Rechten. Selbst ein Gipsarm bremst ihn nicht. Ständig ermuntert er das Publikum zum Tanzen und Springen und seine Energie überträgt sich auf die Massen. Da stört es kaum, dass nur wenige die Texte kennen, denn dank seiner Performance liefert Yungblud eine der energiereichsten Shows des Open Flairs ab. Er spielt mit seiner Rolle als männlicher Frontsänger, wirft sich in feminine Posen und lüftet den Rock. Auf der Setlist findet sich auch das Pop-Punk Duett „I think I’m okay“ mit Rapper Machine Gun Kelly, bei dem Blink 182-Drummer Travis Barker die Drumsticks schwingt. Erstaunlich offen äußert sich Yungblud im Anschluss über seine schwierige Kindheit und seine Depressionen: „When I was younger, they tried to put me on medication“. Seine Antwort auf all die damaligen Erniedrigungen ist ein ausgestreckter Mittelfinger, den er nun durch seine Musik gibt. Von Yungblud dürfte man noch viel hören.Ein Beweis für die Vielfalt des Open Flairs sind die direkt aufeinanderfolgenden Auftritte von Swiss & die Andern, Chefboss, B-Tight und Von Wegen Lisbeth. Punk, Hip-Hop, Pop: viele Stilrichtungen sind vereint und überallhin strömen die Zuschauermassen. Allerdings machen sich auch einige schon nachmittags auf den Heimweg, weshalb man auch abends bei den Co-Headlinern ohne Probleme einen Platz in den vorderen Bereichen findet.
Einer der Co-Headliner sind Bullet For My Valentine, die eine routinierte Show bieten. Bei „Don’t need you“ moshen sich die Fans schon einmal warm, bei „Over it“ und „Your Betrayal“ wird headgebangt, ehe bei „4 Words to choke upon“ alle Dämme brechen. Es gibt jedoch einen Wermutstropfen, denn Bullet For My Valentine verlassen immer wieder ohne erkennbaren Grund die Bühne. Dies sorgt zwar für eine Verschnaufpause bei den stagedivenden und pogenden Metalheads, aber durchbricht gleichzeitig den Konzertfluss. Zudem wirken die Ansagen von Sänger Matthew Tuck aufgesetzt und nicht wirklich authentisch. Dafür entschädigt die Setlist, denn „Tears Don’t Fall“ und „Waking The Demon“ bilden ein grandioses Finale. Ein Höhepunkt ist ein stagedivender Rollstuhlfahrer, der von den Fans auf den Händen getragen wird und kurze Zeit später wieder furchtlos im Rolli mitten im Moshpit auftaucht.
Beim dritten Headliner The Offspring schlägt der Wettergott erbarmungslos zu und lässt das Open Flair im Starkregen enden. Zu Beginn tröpfelt es nur leicht, doch gegen Ende stürzen die Wassermassen vom Himmel. Trotzdem harren viele Open Flairler im Regen aus und versuchen sich durch Pogo-Tänze aufzuwärmen. Im Gegensatz zu den Toten Hosen, die samstags eine energiegeladene Show ablieferten, ist The Offspring das Alter allerdings deutlich anzumerken. Sänger Dexter Holland wird in diesem Jahr 55 und bewegt sich in Eschwege kaum auf der Bühne. Auch seine Mitstreiter spielen zwar routiniert die Songs herunter, wirkliche Headlinerstimmung kommt allerdings nicht auf. Zudem gibt es kaum Ansagen zu den einzelnen Songs, dabei müssten 33 Jahre Bandgeschichte als The Offspring doch genug Geschichten liefern. Allerdings entschädigt das Hitfinale: „Pretty Fly (For a white guy)“, „The Kids aren’t alright“, „You’re gonna go far Kid“ und „Self Esteem“ werden direkt hintereinander gespielt und sorgen für letzte Begeisterungsstürme im Publikum.
Insgesamt bleibt den Fans ein gelungenes Festival in Erinnerung. Als um Mitternacht die ersten 1000 Tickets für die Neuauflage im Jahr 2020 verkauft werden, sind diese bereits nach wenigen Minuten ausverkauft. Einmal Open Flair, immer Open Flair!
Hier geht es zum ersten Teil des Open Flair-Reviews.