Review: Rammstein – „Rammstein“

streichholz
8.7

Lange haben wir gewartet, heute ist es soweit: Das neue selbstbetitelte Album der wohl momentan beliebtesten und begehrtesten Metalhelden der Welt gibt es endlich überall zu hören! Mit einer Stadiontour, vielen Promoaktionen und bereits zwei Songauskopplungen versüßte uns das deutsche Sechserpack das letzte halbe Jahr, nach dem das Release ihres letzten Longplayers „Liebe ist für alle da“, ganze 10 Jahre her ist.
Heute, den 17. Mai 2019 hat das Warten nun ein Ende, wir leihen unsere Ohren wieder den Legenden:

Das Album beginnt selbstverständlich mit den bereits ausgekoppelten Songs „Deutschland“ und „Radio“.

„Deutschland“ ist als brachiale, heroische, gewaltige Hymne der perfekte Opener. Der Song und vor allem sein Video ließen schon Fans, Gesellschaft und nationale sowie internationale Presse aufschreien. Das Lied ist eine harte Abrechnung mit der gesamten deutschen Geschichte. Den typischen Rammsteinsound findet man eher im Refrain wieder. Das Lied beinhaltet bereits viele elektronische Parts.

„Deutschland, meine Liebe, kann ich dir nicht geben.“

„Radio“ schockierte die Fans mit tanzbarem Elekroteilen, ohne brutale Szenen oder verstörende Texte. Wie der erste Song bereits vermuten ließ gibt es auch im zweiten, einenen erheblichen Teil an Elektroeinschiebungen. Das Lied ist sehr fröhlich und absolut Tanz-, Radio-, und Clubreif. Video und Bridge in dem mit heftig gepitschter Stimme gesungen wird  erinnern sehr an die Elektro-Pop Pioniere Kraftwerk. Der Song beschreibt die damals eingeschränkte Freiheit in der DDR Musik zu hören und Nachrichten zu empfangen. So wurde das (oft selbst umgebaute) Radio zu einem Symbol für Fernweh und Freiheit. Im Video finden wir auch Anlehnungen an die Rolle der Frau in der DDR.

„So höre ich, was ich nicht seh. Stille heimlich fernes Weh.“

Der erste uns noch nicht bekannte Song „Zeig Dich“, wird von einem Kirchenchor eröffnet. Dieses Intro erinnert an das von Ghosts „Year Zero“. Dann geht es los mit einem typischen harten Rammstein-Gitarrenriff. Der Song beschreibt die Zustände der Kirche und der Vertuschung von Skandalen: Die Strophen beginnen, ähnlich wie bei Deutschland mit der Silbe „Ver-“. Der Text greift zuerst das kirchliche Zölibat an und zeigt den Gegensatz zu deren Verkündigungen. In der zweiten Strophe geht es um die Zerstörung die von Kirchen ausgeht und deren Verbote von Verhütung und Abtreibung. Trotzdessen werden Gebote gesetreut und Sünden vergeben. Alles damit das Volk sich verbreitet. Im Refrain werden die Täter aufgerufen sich zu zeigen, dass sich der Himmel bereits rot färbt, es kein Licht und keinen Gott gibt. In der dritten Strophe wird explizit auf den Kindesmissbrauch eingegangen „Aus Versehen sich an Kindern vergehen“. Letztendlich will die Kirche nur ihr Ziel der Expansion und des Erhalts erreichen ohne auf gegensätzliche Versprechungen zu achten, sondern sogar noch die Schuldigen zu vertuschen und in den Himmel aufzunehmen. Der Song schließt mit einem geballten Mix aus Band und dem Kirchenchor.

„Verheißung verkünden, Vergebung der Sünden, Verbreiten sich Vermehren. Im Namen des Herren“

„Ausländer“ ist der Popsong des Albums und der wahrscheinlichst poppigste Song der Band aller Zeiten. Anders als der Titel zu versprechen mag, handelt er nicht von den Ausländern oder Flüchtlingen in Deutschland sondern das lyrische Ich selbst, ist der Ausländer in vielen verschiedenen Ländern. Er singt davon viele Sprachen zu beherrschen, allerdings nur um Damen oder Mädchen ins Bett zu kriegen. Es könnte um Sextourismus gehen. Das Lied besitzt zwar harte Riffs und den typischen Rammsteinklang, allerdings überwiegen die Pop und Elektroparts, vor allem im Refrain und C-Teil. Mit der gepitschten Stimme bekommt der Song fast etwas Scooter-ähnliches.

„Ja, mein Sprachschatz ist nicht schlecht. Ein scharfes Schwert im Wortgefecht mit dem anderen Geschlecht.“

„Sex“ ist das neue „Pussy“. Eine Ode an den Geschlechtsakt. Der Riff summt, das Keyboard klingt und der Beat ist gewaltig. Dieser Klang zieht sich durch den gesamten Song und bleibt im Ohr. Ein absoluter Tanzhit mit „Feel-Good“-Gefühl. Einen wirklich tieferen Sinn hat der Song nicht außer die Berschreibung von gutem, brutalen, schmerzenden, stinkendem S&M Sex. Mit dem Refrain „Wir leben nur einmal, wir lieben das Leben, wir lieben die Liebe, wir leben Sex“, wird ein Gemeinsamkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl geweckt, das jeden einschließt. Wie bereits auch schon in einem Interview zu „Liebe ist für alle da“, wollen Rammstein hier jeden einladen die Liebe und den Sex zu erleben.

„Besser Liederlich als Wieder nicht.“

„Puppe“ wirkt erstmal wie eine liebliche, ruhig daher kommende Ballade. Es geht um die traurige Geschichte der Schwester des lyrischen Ichs, welche sich prostituiert. Es ist anzunehmen, dass das lyrische Ich krank ist und die Schwester deswegen Geld braucht. Der Text und auch der in der Mitte überraschenderweise eskalierende Teil erinnern sehr an das kranke Kind aus „Hilf mir“, welches verbrennen muss, weil es mit dem Feuer spielt. In „Puppe“ wird die Schwester, von einem der Freier tot geschlagen. Die Rolle des lyrischen Ichs könnte auch auf eine psychisch Krankheit schließen lassen, da es ihm auf brutale Weise, wieder gut geht nach dem sie „der Puppe den Kopf abgerissen“ und den „Hals abgebissen“ hat. Es folgt ein kindliches, schlagermäßiges, wahnsinniges „Dam Dam“.  Der Text zusammen mit dem Ausbruch Lindemanns Stimme, welche zuerst ruhig und beherrscht ist und ab dem Mittelteil, schreit und krächzt und jauchzt und total bricht lässt ein unangenehmes, grußeliges Gefühl im Hörer zurück. Die Geschichte ist so beschrieben, dass sie vor dem inneren Auge ablaufen kann.

„Und jetzt beiss ich der Puppe den Kopf ab. Es geht mit gut… Ja. Dam Dam.“

Es folgt ein sehr melodischer, langsamer, depressiver Titel. In „Was ich liebe“ geht es um das Nicht-Halten Können und den Verlust von Liebe und Glück. Der Protagonist gibt sich dabei selbst die Schuld an den Mieseren seiner Liebsten und gönnt sich deshalb keine Freude mehr. Es gibt einen harten C-Teil, in dem das Ich böse wirkt „Was ich liebe, muss sterben“. Dann folgt eine symphonische Bridge die das Ende aufbaut.

„Dann brauch ich nicht zu leiden, und kein Herz zerbricht.“

„Diamant“ ist die Ballade des Albums. Es verfolgt ebenso keinen tieferen Sinn, es ist lediglich ein wundervoller, herzzerreißender Text eines Liebenden, begleitet von einer Akustikgitarre. Es geht darum das, die geliebte Person schön wie ein Diamant ist, aber so einnehmend, dass sie dem Protagonisten die Seele aussaugt. Er wünscht sich das er sie gehen lässt.

„Welche Kraft, was für ein Schein. Wunderschön wie ein Diamant. Doch nur ein Stein“

„Weit weg“ kommt wieder sehr elektronisch daher. Es geht um die Fantasien eines Stalkers, der nachts sein Gesicht an die Fensterscheibe einer Frau presst. Dieser sieht das erste Mal besungene Frau nackt. Es wird beschrieben was zu diesem Zeitpunkt in ihm vorgeht. „Weit Weg“  und „Ganz nah“ beschreibt die Dichotymie die der Stalker durchlebt: Räumlich nah zu sein aber sich in Wahrheit auf einer unglaublichen Distanz zu seiner Traumfrau zu befinden.

„ Wieder ist es Mitternacht. Ich stehle uns das Licht der Sonne. Weil es immer dunkel ist. Wenn der Mond die Sterne küsst.“

Der Titel „Tattoo“, gibt dem Lied keinen tieferen Sinn sondern genau das was er verspricht: Es geht um die schmerzhafte, permanente Körperkunst. Der 10. Song der Platte braucht keine 3 Sekunden um dem Hörer sofort zu zeigen wer wieder da ist. Ein sofortiger Rammstein Einstieg , in dem sich Text und Gitarre in den Strophe abwechseln und dann zueinander finden, ähnlich zu „weißes Fleisch“. Der Mittelteil ist wieder leicht poppig. Einen tieferen Sinn beinhaltet der Track nicht, es geht darum sich Geschichten des Lebens und die eigenen Eigenschaften auf der Haut zu portraitieren um sie anderen zu präsentieren: „Zeig mir deins, Ich zeig dir meins.“

„Deinen Namen stech ich mir. Dann bist du für immer hier. Aber wenn du uns entzweist such ich mir jemand der genau so heißt.“

Der abschließende Track des Albums „Hallomann“, ließ bereits die letzten Woche viele Interpretationen zu, da niemand weiß was er bedeutet.  In diesem geht es wohl um das Kidnapping eines blonden Mädchens mit Rosenkranz, dass sich den Anweisungen des Protagonisten beugen soll und dafür am Meer Muscheln und Pommes Frites essen darf. Der Text wird ebenfalls von einem sehr rammsteintypischen Sound begleitet.

„Nichts wird danach wie früher sein. Sprich nicht zu mir. Steig einfach ein.“

„Rammstein“ kommt, angefangen bei seinem Artwork, sehr clean rüber. Es ist mit wenigen brachialen Industrial Parts geschmückt, wenig kommt auch der allgemeine kranke Rammsteinwahnsinn an den Hörer heran. Es ist melodisch, poppig, elektronisch. Die Texte wirken sehr tiefsinnig und bedacht. Es ist ein verhältnismäßig braves Album, welches zwar durch Songs wie „Zeig dich“ provoziert, aber nicht schockiert. Gerade für alle die Rammstein kennen ist es ein doch sehr einfach zu ertragenes Textgut. Dennoch enttäuscht das Album nicht, denn es ist zwar anders als erwartet und nicht ganz so typisch, dennoch genau das was uns Richard Kruspe bereits zur ersten Ankündigung wissen lies: „Rammstein in 3D“

Unser Fazit


Sound
8
Lyrics
10
Artwork
8