Vainstream Rockfest 2019 – Dieses Jahr mal anders…

webflyer_vs19

Wer meine Reviews von Konzerten oder Festivals gelesen hat, die ich bislang hier veröffentlicht habe, der sollte bemerkt haben, dass ich durchaus dazu neige, die jeweiligen Ereignisse ernsthaft abzufeiern. Der Titel dieser Zeilen lässt nunmehr anderes vermuten – und so wird es auch kommen. Zunächst sei jedoch die Ausgangskonstellation umrissen, da diese eine gewisse Rolle für meine subjektive, dies sei hier noch einmal deutlich betont, Betrachtung der Sause am münsterschen Hawerkamp spielt.

Als sich durch die zunehmenden Bandbestätigungen die endgültige Zusammensetzung der diesjährigen Vainstream-Ausgabe abzeichnete, konnte mir diese maximal ein leichtes Achselzucken abgewinnen, fand sich im Line Up doch keine Band, die mich sofort vom Sofa fallen ließ. Trotzdem entschieden meine Frau und ich uns, das Experiment Vainstream in diesem Jahr noch einmal zu wagen. Experiment deshalb, da meine Frau im mittlerweile fünften Monat schwanger ist und mir aufgrund der Vainstream-(Hitze)Erfahrungen der vergangenen Jahre daher bereits im Vorfeld Ungutes schwante, auch wenn die Veranstalter entsprechende Maßnahmen in Form von z. B. kostenloser Trinkwasserversorgung angekündigt hatten. Die Priorität sollte also in diesem Jahr nicht darauf liegen, dem Gerstensaft zu frönen und sich im Pit das Fell gepflegt verdreschen zu lassen, sondern dem ungeborenen Nachwuchs schon einmal klar zu machen, wohin die musikalische Reise mit Muddern und Vaddern auf dieser Erde gehen wird…

Aber beginnen wir vorn: Unser Plan war es, zu Rise Of The Northstar um 12.00 Uhr auf dem Gelände zu sein. Nachdem wir in einer Nebenstraße einen sehr günstig gelegenen Parkplatz ergattert hatten, machten wir uns auf den kurzen Weg zum Gelände. Die Schlange vor dem Einlass war aufgrund der vorgerückten Zeit zunächst einmal kein Problem, da zu erwarten. Auch die Bändchenausgabe funktionierte reibungslos und zügig. Da wir noch ein Ticket an eine Käuferin übergeben mussten, entschlossen sich die Damen, ihre Rucksäcke in der Zwischenzeit schon einmal beim vor Ort befindlichen Schließfächertruck abzugeben. Nach erfolgreichem Ticketverkauf gesellten mein Kumpel und ich uns wieder zu unseren weiblichen Begleitungen, die sich in der Schlange mittlerweile bis zur Fächerausgabe vorgearbeitet hatten. Hier erklärte ihnen der zuständige Sachbearbeiter dann jedoch, dass alle Fächer voll seien und das Einschließen von größeren Taschen nicht mehr möglich sei. Freundlich, aber bestimmt, wiesen die Mädels den Herrn darauf hin, dass es sinnvoll sei, diese Information am Stand auszuhängen, damit nicht alle Nachfolgenden ebenfalls eine halbe Stunde in der Mittagshitze anzustehen hätten. Zum ersten Mal an diesem Tag verspürte ich hier ein leichtes Dehnungsgefühl in meiner Halsschlagader. Da sich jedoch ein Getränkestand in der Nähe befand, konnte die Aorta zunächst mit einer kleinen Portion Hopfen wieder in die Schranken gewiesen werden. Daran tat auch der Umstand, dass in diesem Jahr von Werder-Bremen- auf FC-Schalke-Bier umgestellt worden war, keinen Abbruch, auch nicht, obwohl Rise Of The Northstar und Harms Way dieser ersten organisatorischen Schwierigkeit leider schon zum Opfer gefallen waren. Begleitet von einer amtlichen Leistung von Whitechapel, die auf der Hauptbühne zelebrierten, begaben wir uns nun zunächst zur Chillout-Lounge, dem im letzten Jahr erstmalig geöffneten Coconut Beach, um uns mit einigen Kollegen zu treffen. Hier jedoch die nächste Ernüchterung: Vom Veranstalter im Netz in fürsorglicher Manier darauf hingewiesen, dass der Besucher in regelmäßigen Abständen Schattenplätze aufsuchen solle, mussten wir feststellen, dass in diesem Jahr darauf verzichtet worden war, entlang des Kanals Sonnenschirme aufzustellen und so die Schattenplätze reduziert waren und sich eine entsprechende Anzahl Menschen an den wenigen vorhandenen zusammendrängte. Völlig unverständlich und erster großer Minuspunkt.

Nachdem wir uns abgestimmt hatten, dass die erste gemeinsam zu begutachtende Band Turnstile sein sollte, stellte sich dann tatsächlich ein, was ich nicht für möglich gehalten hatte. Die Running Order wies die ‚Green Hell Club Stage‘ als dritte Bühne aus. Nicht im Traum hatte ich daran gedacht, dass es sich dabei tatsächlich um eine Indoor-Stage handeln sollte. Ich wurde jedoch durch meine Kollegen brutal in die Realität zurückgeholt. Diese Bühne befand sich im Gegensatz zu den vergangenen Jahren in der Tat nicht auf dem Festivalgelände, sondern in der Sputnikhalle. Eine Open-Air-Bühne eingespart, das bei hochsommerlichen Temperaturen – nächster fetter Minuspunkt. Vorm Eingang zur Sputnikhalle wurde dem Ganzen dann die Krone aufgesetzt: Der Einlass war auf ca. 400 Personen pro Gig begrenzt. Spontan erweiterte sich meine Halsschlagader auf gefühlte 40 cm. Dies ist meiner Meinung nach schlichtweg eine Frechheit, wenn ich für ein Ticket 60 Euro bezahle und fest davon ausgehe, dass ich mir dafür jede Band anschauen kann, die ich sehen möchte. Dritter großer Minuspunkt. Entschädigt wurden wir wenigstens durch eine weitgehend überzeugende Performance von Turnstile, bei der der Moshpit kochte, nicht zuletzt deshalb, weil die Security die großen Flügeltüren der Sputnikhalle, durch die ein angenehmes Lüftchen wehte, kurz vor dem Gig unverständlicherweise wieder schloss. Außerdem bestand in der Halle die Möglichkeit, die strapazierten Flüssigkeitsreserven des Körpers durch einen bis zwei Liter Wasser aus dem Hahn des WC-Waschbeckens wieder aufzufüllen. Ach ja, Trinkwasser… Trotz intensiver Suche haben wir die angekündigten (laut Plan zwei [Sic!!!!!]) kostenlosen Trinkwasserstationen bis zum Abend nicht ausfindig machen können. Minuspunkt – hier wäre eine deutliche Beschilderung sehr hilfreich gewesen. Zwar befanden sich an einigen Stellen des Geländes gelbe Schläuche, aus denen in der Tat Wasser herauskam, aber als auf dem Land aufgewachsenes Kind weiß ich, dass ich nicht aus Schläuchen trinke, deren Quelle mir nicht bekannt ist, um nicht drei Tage Urlaub auf dem Boiler verbringen zu müssen.

Auf dem Weg zurück zu unseren Damen, die während des Turnstile-Gigs im Zirkuszelt auf dem Coconut Beach geblieben waren, konnten wir dann eine weitere lächerliche Situation beobachten. Am Zugang zur Sputnikhalle befanden sich zahlreiche Schattenplätze an den links und rechts aufgestellten Zäunen, die sich die Besucher auch intensiv zu Nutze machten. Hier sorgte die Security jedoch dafür, dass die Leute ihre Sitzplätze schnell wieder verlassen mussten, da der Aufenthalt in den Zuwegungen angeblich nicht gestattet sei. Damit hatte sich der fürsorgliche Hinweis der Veranstalter, sich im Schatten aufzuhalten, dann leider endgültig amortisiert.

In der Zwischenzeit ergab sich die Gelegenheit, Neaera auf der Hauptbühne zu begutachten. Die Lokalmatadoren nutzten ihren Slot, um ihr (Bühnen)Comeback gehörig und mit amtlichem Druck aus den Boxen zu begehen. Als unsere Damen uns im Anschluss freundlich darauf hinwiesen, dass es an der Zeit sei, etwas zu essen, hatten wir außerdem ungewollt die Gelegenheit, auch Beartooth in Augen- und Ohrenschein zu nehmen. Hatte ich nicht gedacht, dass sie schon so weit sind, am Spätnachmittag eine Festival-Hauptbühne erfolgreich zu beackern, wurde ich eines Besseren belehrt. Positiver Eindruck. Jedoch nur kurz…

Im letzten Jahr befanden sich im Bereich des Coconut Beach noch einige sehr interessante und qualitativ hochwertige Futterplätze, in diesem Jahr war dort versorgungstechnisch – nichts. Das hieß für einen Kollegen und mich wiederum, einmal über das gesamte Gelände zu juckeln, um zur Futtermeile zu gelangen und dann mit der Mantaplatte auf der Hand den ganzen Weg wieder zurück zur weiblichen Begleitung zu balancieren, um im Schatten essen zu können. Minuspunkt.

Einigermaßen gestärkt, kam dann allerdings der Zeitpunkt, noch einige Häkchen auf die Bands-I-Want-To-See-Liste zu setzen, spielten doch Feine Sahne Fischfilet um kurz vor sechs zum Tanze auf der Lonsdale-Stage auf. Da ich nicht so ganz sicher war, was ich hier erwarten sollte, war ich sehr gespannt auf die Shooting Stars aus MeckPomm und – sie sollten mich nicht enttäuschen. Ein meiner Meinung nach sehr eingängiger und im positiven Sinne sentimentaler Gig mit einer klaren politischen Botschaft, bei der mir das linksgrün versiffte Herz aufging. Punk ist politisch und Feine Sahne Fischfilet können politisch sehr sympathisch. Als sie dann am Ende des Gigs noch eine Liebeserklärung an Mecklenburg-Vorpommern raushauten, hatten sie das Publikum inklusive mir mit 12:0 gewonnen. Respekt!

Man glaube es oder nicht, tatsächlich schloss sich anstatt eines erneuten Negativerlebnisses mit Flogging Molly ein weiterer Höhepunkt an. Sind mir persönlich die Dropkick Murphys schon lange etwas zu langweilig, weil zu professionell, machten Flogging Molly das, was die Murphys vor zwanzig Jahren auch noch gemacht haben – Party! Sie hatten die gesamte Meute voll auf ihrer Seite und veranstalteten Entertainment pur. Obwohl ich mich nicht so ganz im Folk-Punk-Genre zuhause fühle, lieferten die Mollys den für mich besten Gig des Vainstream ab und wurden dafür zu Recht bis in die hintersten Reihen vom Publikum abgefeiert. Pluspunkt!

Gleichzeitig fast Schlusspunkt, denn nachdem wir uns zwanzig Minuten der starken Donots angehört hatten, entschieden wir uns, dass der Nachwuchs für dieses Mal genug Krawallmusik genossen hatte und außerdem hatte uns alle das extreme Wetter in Kombination mit den teilweise erheblichen organisatorischen Schwächen schon fast in die Knie gezwungen und wir entschlossen uns, gegen 20.30 Uhr den Heimweg anzutreten.

Was bleibt nun vom diesjährigen Vainstream hängen!? Da es mein sechster Besuch in Folge war, muss ich leider trotz meiner außergewöhnlichen persönlichen sowie der Wettersituation resümieren, dass die Organisation in diesem Jahr so schlecht war wie nie zuvor. Natürlich haben wir bereits ausführlich darüber gerätselt, was die Ursache(n) sein könnte(n). Viele der Änderungen im Vergleich zu den letzten Jahren ließen ein wenig den Eindruck aufkommen, dass die Veranstalter davon geleitet waren, in diesem Jahr an einigen Stellen Geld einzusparen. Ob das im Sinne der zahlenden Gäste ist, lasse ich einmal dahingestellt. Wie das diesjährige Festival zu bewerten ist, wird sich unter Umständen erst im nächsten Jahr endgültig sagen lassen, wenn das fünfzehnjährige Jubiläum ins Haus steht. Sollten sich hier nicht sowohl im Billing als auch in der Organisation der Abläufe erhebliche Verbesserungen beobachten lassen, werde ich das Vainstream aus meinem Festivalkalender wohl oder übel streichen.